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Datum & Uhrzeit: 2017-11-29

Autor: Simon Gajer, HSt

Ein Auto liegt auf der Seite, der Fahrer ist ansprechbar, der Beifahrer hängt im Gurt und ist bewusstlos. Schlimmer sieht es im zweiten Auto aus: Eine Stange hat die Frontscheibe durchstoßen und den Fahrer durchbohrt. Ein spektakuläres Szenario hat sich die Führung der Bad Rappenauer Feuerwehr für ihre Einsatzkräfte einfallen lassen. Die Übung nehmen alle Helfer sehr ernst, sie achten auf Kleinigkeiten. Wer ist eigentlich bei den Verletzten im umgestürzten Pkw, wie geht’s ihnen? Berechtigte Fragen von Gruppenführer Timo Hofmann an den Neuling im Team, der gerade hilflos ist und überlegt, wo er anpacken könnte. Unter den Profis ist ein Laie, für den Feuerwehr Neuland ist, der nicht einmal als Kind im Ferienprogramm bei der Jugendfeuerwehr vorbeischaute. Das ist kein Problem. Gern sähen es Feuerwehren, würden mehr Interessierte selbst noch im Erwachsenenalter zu ihnen kommen. Die sogenannten Quereinsteiger sind überall willkommen. Die Statistik zeigt aber, dass kaum jemand beitritt – sehr zum Bedauern der Verantwortlichen.Nach einer halben Stunde drückt der Helm. Dank der schweren Feuerwehrkleidung fließt der Schweiß trotz Außentemperaturen, bei denen Windschutzscheiben überfrieren. Die Übung ist fordernd. Die hydraulische Schere hat schon beim Tragen ein ordentliches Gewicht. Noch schwerer wirkt sie, wenn sie erst einmal im Einsatz ist. So gut wie nie kann das Gerät handlich angesetzt werden, um das Dach des umgekippten Pkw abzutrennen. Schräg muss sie benutzt werden, fast senkrecht ist sie in Position zu bringen. Eine Puppe, selbst von vier Männern auf einer Trage transportiert, fühlt sich an, als ob sie ein Gewicht von mehreren Hundert Kilogramm hat. Dabei sollen es nur 70 sein. Das behauptet zumindest der Hersteller. Abteilungskommandant Jürgen Seel übertreibt nicht. Die Übung ist „knackig“, sagt er ermutigend. Wer zum sogenannten Angriffstrupp gehört, wird „richtige Feuerwehrluft schnuppern“.UnterstützungDie Kameradschaft gibt Halt und Sicherheit bei der ersten Übung. Der Neue ist im Fahrzeug dafür verantwortlich, die Aids-Handschuhe auszugeben. Groß ist die Sorge, dass dies in der Hektik untergeht, wenn bei der Anfahrt zeitgleich an alles gedacht werden muss. Taschenlampe schnappen und an der Jacke befestigen. Gürtel ablegen und verstauen, weil das befestigte Beil später eh nur stören würde. Beim Aussteigen den Rucksack mit dem Erste-Hilfe-Material schnappen. Die Erfahrenen lassen gar keine Unsicherheit aufkommen. „Kann ich Handschuhe haben?“, fragt jemand ganz entspannt, die Packung macht gleich ihre Runde.Kleinigkeiten zeigen, dass die Einsatzkräfte füreinander da sind und auch Anfänger integrieren. Unter anderem bei der Anfahrt mit Blaulicht, als jemand meint: „Abschnallen nicht vergessen.“ Der Hinweis klingt zunächst banal, aber für die vier anderen im Heck des Fahrzeugs ist der Handgriff zur Routine geworden: Schon in der letzten Kurve vor dem Einsatzort haben alle einen Finger am Knopf, um möglichst schnell den Gurt zu lösen. Selbstverständlich achten die Männer beim Einsatz und der Übung aufeinander. Visier am Helm runter, wenn am Dach geschnitten wird. Dann hoch, damit nichts beschlägt. Im Trubel geht schon einmal unter, wo sich der Schutz gerade befindet und wo er besser sein sollte. Als Helfer im Fahrerraum knien und mit der hydraulischen Schere schneiden, greift plötzlich eine Hand von hinten zum Helm und schiebt das Visier runter. Für ein Danke bleibt in der Eile keine Zeit.Unterstützung tut not und entlastet die langjährig Engagierten. Die Bad Rappenauer Wehr hatte im vergangenen Jahr 160 Einsätze, 128 Mal rückte die Abteilung der Kernstadt aus. Kommandant Felix Mann würde es begrüßen, kämen neben Nachrückern aus der eigenen Jugend auch Erwachsene ohne Vorkenntnisse zur Wehr. Die Einsatzzahlen steigen kontinuierlich an, und gleichzeitig nimmt die Bereitschaft einzelner Unternehmen ab, ihre Mitarbeiter für Einsätze freizustellen. Die Toleranz schwinde, je mehr man den dörflichen Charakter hinter sich lasse, beschreibt es der Kommandant. Die Alternative käme Bad Rappenau teuer zu stehen. Gäbe es nicht mehr ausreichend Freiwillige, bliebe nur eine Berufswehr. Manns Rechnung macht die Dimension deutlich, die Freiwillige Feuerwehren für Kommunen sparen: Um eine Wache rund um die Uhr mit zehn angestellten Einsatzkräften besetzt zu halten, bräuchte man eine 50-köpfige Mannschaft. Die kostet rund 2,5 Millionen Euro im Jahr.Doch es bleibt dabei, dass sich die Einsatzabteilungen vor allem über die Jugendwehren speisen. Dieses Jahr begrüßte Felix Mann zwölf Neue, darunter gerade einmal einen Quereinsteiger. Der Rest war der eigene Nachwuchs. „Das ist das Problem“, gibt Kommandant Mann zu. „Viele denken, dass es gar nicht anders geht.“ Tut es aber. Der einzige Unterschied ist, dass es Schülern und Studenten vermutlich leichter fällt, den Freiraum für die erste erforderliche Ausbildung zu schaffen. Die ist zeitintensiv: In 70 Stunden lernen die Interessierten die Grundfertigkeiten kennen. Zwei bis drei Termine pro Woche und das ganze zwei Monate lang: „Das ist fordernd, aber überschaubar“, wirbt Felix Mann. Ist dieser Einstieg geschafft, nimmt der Aufwand deutlich ab. Mitglieder in der Bad Rappenauer Kernstadtabteilung müssen gerade einmal an 24 Übungen im Jahr teilnehmen, in den Bad Rappenauer Ortsteilen bringen es die Wehren auf zwölf bis 16 Trainingseinheiten.MachbarIm Übungstrubel behält René Strauß den Überblick: Hier der Punkt, um das Dach aufzuschneiden. Dort ansetzen, um die Sitzlehne zu lösen. Der 38-Jährige gehört zu den Quereinsteigern, obwohl er schon Zeit mit der Feuerwehr verbrachte. In seiner Kindheit war er beim Nachwuchs seiner Heimatgemeinde, doch die sogenannte Truppmann-Ausbildung machte er nicht. Erst vor knapp drei Jahren holte er sie nach. „Wenn man im Beruf steht, ist es schon schwierig“, gibt er zu – aber machbar. Die Jüngeren haben seiner Ansicht nach zwar neben der Schule mehr Freizeit, den Kurs zu absolvieren. Die Älteren haben allerdings den Vorteil, dass sie mehr Erfahrung mitbringen. „Sie schaffen es besser, in Routine zu kommen.“ Seither ist René Strauß dabei. „Das Virus hat mich gepackt.“ Es folgten Ausbildungen, um mit dem Funkgerät umgehen und das Atemschutzgerät tragen zu können. „Ein kleines Helfersyndrom hat jeder von uns.“GroßprojektDie Bad Rappenauer Feuerwehr strukturiert sich teilweise um. Um langfristig gut aufgestellt zu sein, fusionieren die Abteilungen der Stadtteile Bonfeld, Fürfeld und Treschklingen zur Abteilung Süd. Für etwa fünf Millionen Euro entsteht für diese Einheit eine neue Feuerwache im Gewerbegebiet Buchäcker, das direkt an der Autobahnabfahrt Bad Rappenau liegt.